Saturday, February 4, 2012

Oderwerft Eisenhüttenstadt - 1996

Millionen-Dampfer von der Oderwerft

Rechtzeitig zum 100. Geburtstag soll die Premiere sein
EISENHÜTTENSTADT - Die Sonne knallt auf die nackten Oberkörper der Männer. Konzentriert setzt Herbert Müller das Schweißgerät an die Reeling. Die Funken sprühen nach allen Seiten. Nebenan bohrt Kollege Carsten Klemer Löcher in die Deckplatte. Maler Hans Junker fährt mit dem Pinsel über den Fensterrahmen. Seit früh um sieben sind die Arbeiter auf den Beinen. Der Countdown läuft. Nur noch elf Tage, dann muß der Boddenkreuzer fertig sein - pünktlich zum 100jährigen Jubiläum der Oderwerft Eisenhüttenstadt. "Es ist unser erstes Fahrgastschiff" , sagt Geschäftsführer Klaus Rüdiger stolz. Zwanzig Wochen Schufterei liegen bereits hinter den Schiffsbauern. Ingenieur Mario Habermann ergänzt: "Da stecken 89 Tonnen Stahl in dem Dampfer." Die etwa zwei mal sieben Meter großen und acht Millimeter dicken Bleche werden mit Stahlkörnern gesäubert und bei 80 Grad getrocknet. Mit einer Schlagschere werden die Teile zurechtgeschnitten, auf der Kantbank geformt. Habermann: "Der Schiffskörper besteht aus Tausenden Einzelteilen." In der Schiffsbauhalle, so groß wie ein Fußballfeld, werden die Teile zu Segmenten zusammengeschweißt , Profile montiert . Kräne draußen auf der Helling setzen die Segmente zu einem Schiff zusammen. Dann beginnt die " Feinarbeit " : Tischler verkleiden die Decke, Elektriker legen Leitungen, Lüftungsschächte werden emgebaut, Scheiben eingesetzt. Mitarbeiter von acht Firmen ackern derzeit auf dem Schiff, schieben täglich Überstunden. Der 40 Meter lange, 7,60 Meter breite 400-Personen-Boddenkreuzer soll ab Juli für die Weiße Flotte zwischen Rügen und Stralsund schippern. Kosten des 157 -Tonnen-Koloß: 3,5 Millionen Mark. Zu DDR-Zeiten produzierten hier 540 Mitarbeiter vor allem Fischkutter und Schubprahme. Die Kunden: Albanien, Island, Vietnam. Daneben war die Oderwerft wichtigster Lieferant für die DDR- Binnenschiffahrt. " Pro Woche stellten wir einen Schubprahm her." Nach der Wende war dafür jedoch kein Bedarf mehr. Heute sichern vor allem Fähren und Eisbrecher das Bestehen der Werft. "Die Auftragslage ist gut", sagt Klaus Rüdiger. Seine 90 Mitarbeiter bauten im letzten Jahr zwei Ostsee-Fähren und vier Baggerpontons für den Kongo. Umsatz: 15 Millionen Mark. Herbert Müller atmet auf, packt das Schweißgerät zur Seite. Geschafft ! Feierabend! Morgen geht's weiter. Dann heißt es wieder: Alles geben, damit der Kreuzer termingerecht fertig wird. zim

Quelle: Berliner Kurier 9. Juni 1996
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